Ein Gerichtsgebäude zu besuchen, wenn gerade keine Verhandlung stattfindet, erscheint normalerweise als ein ziemlich langweiliges Unterfangen. Doch diese Gerichtsbesichtigung ist von besonderer Art: Immerhin handelt es sich um das Bundesverwaltungsgericht – aber eigentlich ist das hier der Bau für das (Deutsche) Reichsgericht, das im Jahre 1895 fertiggestellt wurde. Damals wurde bewusst der Standort Leipzig gewählt. Die geografische Entfernung zum Regierungssitz in Berlin galt als Zeichen für die Unabhängigkeit der Justiz. Der rangdritthöchste Mann im Reich residierte in Leipzig.
Dies änderte sich nach dem Reichstagsbrandprozess, der hier im Großen Sitzungssaal u.a. gegen Georgi Dimitroff geführt wurde, und der zum Debakel für die frisch an die Macht gekommenen Nazis wurde.

Vielmehr verstrickte es sich (Anm. RRH: das Reichsgericht) tief in das nationalsozialistische Unrechtsregime, etwa als es im Reichstagsbrandprozess den holländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe auf der Basis eines rechtsstaatswidrigen Gesetzes zum Tode verurteilte.[26] Trotz diesem Urteil war der neuen Staatsführung die Rechtsprechung dieses Gerichts ein Dorn im Auge, sprach es doch die sonstigen Mitangeklagten frei und widerlegte damit die öffentliche Behauptung Hermann Görings, dass ein kommunistischer Umsturzversuch im Gange gewesen sei. Unter anderem deshalb wurde dem Reichsgericht im Jahr 1934 durch das Gesetz zur Errichtung des Volksgerichtshofs die Zuständigkeit in Hoch- und Landesverratssachen entzogen.

Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsgericht (kopiert am 17.04.2022)

Nach Kriegsende hatte Justitia im Leipziger Reichsgericht ausgedient. In der DDR wusste man nicht so richtig, wie man mit dem geschichtsträchtigen Riesen-Bau umgehen sollte. Die Story mit Georgi Dimitroff war allerdings zu wichtig für die Geschichtsschreibung der DDR. Ich kann mich erinnern, mit der 7. oder 8. Klasse einen Schul-Wandertag ins hier eingerichtete Dimitroff-Museum mitgemacht zu haben. Damals mit viel weniger Interesse für alles … (und leider auch ohne Bilder gemacht zu haben).

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stamps_of_Germany_(DDR)_1982,_MiNr_Block_068.jpg
Hochgeladen von –Nightflyer (talk) 20:50, 9 April 2009 (UTC), Public domain, via Wikimedia Commons

An einem Corona-Masken-Samstag erlebte ich nun aber eine interessante Führung durchs Bundesverwaltungsgericht. Diesmal mit Kamera:

Noch mitten in Leipzigs Zentrum, gleich um die Ecke vom Neuen Rathaus: Das heutige Bundesverwaltungsgericht.
Der Bau ähnelt dem Reichstag in Berlin.
Ganz oben „Die Wahrheit“ – eine 5,50 Meter hohe Bronzeskulptur.
Empfangshalle Haupteingang (Ostseite)
WOW! Die zentrale Kuppelhalle macht ganz schön was her!
Die Gestaltungen der Bleiglasfenster zeigen Allegorien, die sich aus der Himmelsrichtung, in der sie liegen, ableiten. Hier das nördliche Fenster mit den Wappen von Hamburg und Lübeck, sowie Symbolen der Seefahrt und des Handels – und, wenn ich es richtig deute, zu den damaligen deutschen Kolonien.
Das Ostfenster zeigt landwirtschaftliche Symbole und die Wappen von Marienburg und Königsberg
Das Westfenster zeigt in den industriellen Westen (Köln, Straßburg)
Es bleibt das Südfenster mit Symbolen zu den Künsten, wie Architektur und Musik (Nürnberg, Augsburg)
In einem der kleineren Verhandlungssäle. Hier werden verwaltungsgerichtliche Verhandlungen der Bundeswehr abgehalten. Die Deutschlandflagge ist das Besondere in diesem Saal. Ihr Hiersein wird mit dem Fahneneid der in der Bundeswehr Dienenden begründet.
In Eiche geschnitzte Symbole zur Rechtsprechung in einem weiteren Verhandlungssaal.

Kurzer Einschub zu einigen immer wieder auftretenden Symbolen:

Schlange – Lüge
Fackel (Kerze) – Wahrheit
Eule – Weisheit
Gesetzestafeln – 10 Gebote
Waage – Justiz
Löwe – Staatsmacht
Taube mit Ölbaumzweig – Frieden
Drachen – das Böse

Symbolik in Stein
Treppenaufgang mit Figurengruppe „Verdammnis“ (Der Stab wird über jemandem gebrochen.)
Gegenüberliegend am gleichen Aufgang die Figurengruppe „Erlösung“ (Freispruch)
Großer Sitzungssaal, hier fand der Reichstagsbrand-Prozess statt.
Fensterfront des Großen Sitzungssaales mit Wappen der deutschen Städte mit Oberlandesgerichten (zur Bauzeit)
Naumburg ist mit dabei
Staatsadel
Von außen nicht sichtbare Neubauten im südlichen Lichthof.
Rechts der Südflügel mit der ehemaligen Präsidentenwohnung.
Neue Bundesverwaltungsgerichts-Präsidenten-Galerie (Teilstück).
Jeder Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes darf sich von einem Künstler seiner Wahl portraitieren lassen.
Die Führung findet ihren Abschluss im Festsaal des Reichsgerichtspräsidenten.