Bleiglasfenster in Gartenlaube

Bei einem Besuch in einer Gartenlaube fiel mir ein Bleiglasfenster auf. Ein so opulentes Bleiglasfenster in einer Gartenlaube?!

Die zwei Wappen strahlten in schönsten Farben. Rechts muss es das Weißenfelser Stadtwappen sein. Links aber …?
Die Antwort des Gartenbesitzers: „Das ist das Wappen der Weißenfelser Fischer. So hat es mir jedenfalls der Vorbesitzer vor 30 Jahren erzählt.“ Mehr könne er aber dazu nicht sagen. Mmh …

Fakt ist, die Laube steht in einer Weißenfelser Gartenanlage. Das linke Wappen kommt in gleicher Machart daher und hat also höchstwahrscheinlich den gleichen Ursprung wie das Stadtwappen. – Aber was sind das für seltsame Symbole für eine Fischerei-Innung!?

Meine Ahnung in Sachen Wappenkunde geht gegen Null. Also habe ich erstmal in meiner Heimatboten-Sammlung nach den Weißenfelser Fischern recherchiert. Vielleicht finde ich direkt eine Abbildung des Wappens.
Den umfangreichsten Artikel über das Themengebiet gibt es im Heft 2 des Jahrganges 2002. Dort ist sogar das Siegel der Weißenfelser Fischerinnung abgebildet – doch dieses hat überhaupt keine Ähnlichkeit zum Lauben-Wappen. Was soll das? Ist das Wappen mit dem Neptun eine private Spielerei?

Also versuchte ich über die Heraldik noch etwas herauszubekommen, im Internet. Die Begriffe Mauer, Ring, Wasser, Fluss, Speer und Lanze brachten lediglich Allgemeinplätze ohne direkten WSF-Bezug. Aber was ist das da vorne an der Lanze? Das Symbol ist mir wohl bekannt – was war das gleich noch mal?

Fleur de lis Stark stilisierte Blüte der Schwertlilie (Iris), die aus drei Blättern besteht. Sie steht symbolisch für Reinheit und Unschuld sowie die Dreifaltigkeit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die heraldische Lilie wurde bevorzugt in Wappen der Könige von Frankreich geführt.

https://www.code-knacker.de/heraldik.htm

Was?! Der Heilige Geist und auch der König von Frankreich hat sehr wenig mit den Weißenfelser Fischern zu tun. Oder?
Doch da lese ich an anderer Stelle zum Thema Lilie:

Seit dem Mittelalter an war es auch üblich, Personen oder Familien sowie Kommunen, die sich in besonderer Weise für den König verdient gemacht haben, dadurch zu würdigen, indem ihnen das Tragen der Lilien in ihren Wappen gestattet wurde.

https://www.heraldik-wiki.de/wiki/Lilie_(Heraldik)

Und da machte es Klick bei mir:
Denn das Nichtvorhandensein von üblicher Fischersymbolik wie Netz, Kahn und Fisch – dafür aber der höchst hoheitlichen Lilie, hat bei den Weißenfelser Fischern seine Berechtigung. Sie halfen nämlich Ludwig dem Springer bei der Flucht von der Burg Giebichenstein (in Halle), woraufhin der Landgraf den Weißenfelser Fischern die Fischrechte an der Saale von Sulza bis Halle (! – so steht es jedenfalls im Weißenfelser Heimatboten) und an der Unstrut zusprach.
Und so erschließen sich auch die anderen Symbole: Das Wasser ist die Saale. Die Mauer ist die Burg Giebichenstein. Der Ring an der Mauer steht für die Gefangenschaft des Landgrafen. Die Lanze soll wohl eher eine Stake sein. Und die Lilie war mein Schlüssel zur Entschlüsselung – ich hoffe doch sehr, dass ich nicht daneben liege 😉

„Fischer-Stechen“ 1935 aus Anlass der 750 Jahrfeier von Weißenfels.
Im Hintergrund das Fischerdörfchen / dahinter der Klemmberg, zeitweise auch Blücherhöhe genannt.

Übrigens:
Auch später in der Herzogszeit genoss die Innung das Wohlwollen der Obrigkeit. Und 1813 machten sie wieder Schlagzeilen und verhalfen Blücher zum schnellen Saale-Übergang bei der Verfolgung der Napoleonischen Truppen.
Die Weißenfelser Fischerei-Innung war eine Institution – bis die Fische aus der Saale verschwanden …

Erinnerungstafel am „Saalestrand“ (2004)

Ich vermute, die Bleiglasfenster sind vor dem Abriss des historischen Fischerdörfchens (an der Leipziger Straße) in den 1980ern ausgebaut und somit gerettet worden. Wer es war und ob es so war – keine Ahnung.

Die immer noch beachtlichen Reste des Fischerdörfchens ca. 1997.
Fischerdörfchen 2020

Anmerkungen zu Ludwig den Springer
Da gibt man sich nun Mühe und verlinkt zur Untermauerung des Beitrages zur Wikipedia (s.o.) – und dann ist da nichts zu finden im Zusammenhang mit den Weißenfelser Fischern. Die ganze Story sieht die aktuelle Geschichtsschreibung ziemlich skeptisch. Es gibt keine Beweise, sondern wohl nur Gerede, das zur aufgeschriebenen Legende, zur Sage wurde.

Wer sich nicht vor verschrobenem alten Deutsch und Frakturschrift fürchtet, dem sei aber dieses kleine Büchlein, herausgegeben in Weißenfels im Jahre 1698, empfohlen. Es enthält die ganze Geschichte und macht richtig Spaß beim Lesen!

Man kann sich das Büchlein sogar downloaden:

https://opendata2.uni-halle.de/explore?bitstream_id=393d326f-6137-4ce1-b43f-46ff3ec69c96&handle=1516514412012/26424&provider=iiif-image


Nachtrag 7.7.2022
Eine kleine Anfrage im Weißenfelser Museum brachte folgendes Ergebnis:

Das Wappen ist nicht bekannt.
Es scheint sich also eher um eine private Angelegenheit zu handeln … mal sehen, ob es noch an anderer Stelle gesichtet wird.