Udo L., Mauerreste & Weihnachtsmärkte
Wer diesen Blog schon etwas länger liest, wird wissen, welchen Grund wir haben, in dieser unwirtlichen Jahreszeit nach Berlin zu fahren. (Eisregen vor 25 Jahren)
Geplant war diesmal ein autofreier Trip, das Hotel direkt am Bahnhof gelegen. Doch leider war vor einer Woche nicht klar, wie man die Streiksituation einschätzen sollte. So ließen wir die Fahrkarten zurückbuchen und machten uns mit dem Auto auf den Weg – auch zum Hauptbahnhof. Denn dort kann man schön trocken und sicher parken, wenn auch nicht billig.
Nach dem Einchecken im Hotel und einem asiatischen Mittagessen im „modernsten Bahnhof der Welt“ gingen wir die gut zwei Kilometer zum Marlene-Dietrich-Platz in aller Ruhe zu Fuß. „Hinterm Horizont“ hieß unser Ziel, das Berlin-Musical, das sich auch gleich noch als „Berlins erfolgreichstes Musical aller Zeiten“ bezeichnet.
Doch auch ohne dieses vorbereitende Superlativ hätte uns das Stück gefallen. Modern inszeniert, mit Videoprojektionen und viel Manpower auf der Bühne, bietet es alles, was man als Besucher eines Musicals erwartet. Und das bei diesem Thema!
Das überdrehte Auftreten des Stasi-Generals amüsierte und erschreckte mich gleichzeitig: Solche Typen gab es!
Als Udo Lindenberg die erste AMIGA-LP herausbringen durfte, war ich „bei der Fahne“. Seine Lieder liefen in der Freizeit permanent hoch und runter. Als subversiv wurde das gewertet, aber man konnte nicht richtig dagegen etwas tun. AMIGA = DDR-legal 😉
Und dann kam der „Sonderzug nach Pankow“ … unglaublich, welchen Affentanz man bei der Jagd auf Tonbandkopien in der Kaserne machte. Es war ein Politikum aller erster Güte … ein armseliges. Dass es die DDR keine 10 Jahre mehr geben sollte, ahnte dabei niemand.
Die „tagesthemen“ vom 9. November 1989 habe ich live ohne ein einziges Zwinkern und wahrscheinlich mit offenem Mund gesehen. „Im Umgang mit Superlativen solle man vorsichtig sein“, hieß es da, doch welches Superlativ genügte dieser Meldung: „Die Tore in der Mauer stehen weit offen!“
Genau diese Sequenz aus der deutschen Fernsehgeschichte wird auch im Musical verwendet. Gänsehaut! Mensch Udo, ausgerechnet du lässt an ausgerechnet diesem Ort die neue Berliner & Deutsche Geschichte feiern. Das ist irgendwie genial! Gut gemacht!
Nachtrag vom 22.3.2015
Das Musical-Buch (oder auch hochtrabend: Libretto) schrieb Thomas Brussig.
In seinem neuen Wende-Buch „Das gibt’s in keinem Russenfilm“ schreibt er auch über den dazugehörigen Schaffensprozess und den damit verbundenen Begegnungen mit „Personen der Zeitgeschichte“. Allerdings werden in seinem „Russenfilm“ die Fakten dermaßen heftig mit Fantasien durchmengt, dass man nicht weiß, was nun wirklich war … Ein Brussig in Hochform – und für Leute, die das Ganze live mitgemacht haben, ein sehr amüsanter Lesestoff.